KI UND NATUR
NATÜRLICH VORBILDLICH
18.09.2020
Drohnen, autonome Autos, unbemannte Fernzüge – die Roboter haben sich längst auf den Weg gemacht. Bei der Frage, nach welchen Regeln sich diese Gefährte zukünftig bewegen und miteinander kommunizieren können, lässt sich von der Natur einiges abschauen.
Ameisen sind bekannt für die im Verhältnis zu ihrer Größe unwahrscheinlichen Kraft- und Energieleistungen, wie auch für ihr architektonisches Geschick. Dass sie zudem im Hinblick auf den Verkehr der Zukunft als Vorbild dienen, ist weniger bekannt. Die Vertreter der Familie der Formicidae aus der Ordnung der Hautflügler verfügen über besondere Fähigkeiten bei der Orientierung auf unbekanntem Terrain. Jeder, der schon mal eine Ameisenstraße bewundert hat, stellte sich sicherlich die Frage, wie es den Insekten gelingt, den kürzesten Weg zwischen ihrem Zuhause und einer Nahrungsquelle zu finden. Die in gemäßigten Klimazonen beheimateten Arten helfen sich dabei vor allem mit Duftstoffen: Bei der Nahrungssuche schwärmen sie in alle Richtungen aus, markieren die Wege dabei mit Pheromonen. Haben sie Nahrung gefunden, gehen sie den gleichen Weg wieder zurück und verstärken dadurch die Spur. Die nächsten Ameisen folgen der stärksten Spur – und schon bildet sich binnen kürzester Zeit eine dicht frequentierte Straße. Nun verspricht der Einsatz von Duftstoffen im Straßenverkehr nicht besonders viel Erfolg. Setzt man stattdessen allerdings auf phosphoreszierende Farbstoffe, sieht die Sache schon anders aus: autonomen Fahrzeugen ließe sich so ein Weg vorgeben. Ein Ansatz, der in der Verkehrsplanung der Zukunft eine Rolle spielen könnte.
AUF HEISSEM SAND
Die in der afrikanischen Wüste beheimateten Verwandten der europäischen Ameisen müssen sich anders zu helfen wissen, da Duftstoffe in der Hitze sofort verpuffen. Sie vertrauen bei der Orientierung auf das Himmelsbild, vor allem aber auf ihr Gedächtnis und Algorithmen. Verlässt eine Wüstenameise ihr Zuhause, um Nahrung zu suchen, merkt sie sich auf ihrem Weg jeden Schritt und jede Drehung. Sie zählt ihre Schritte und findet so aus bis zu mehreren hundert Metern Entfernung zielsicher das kleine Loch im Boden, ihre Haustür. Um herauszufinden, wie die Orientierung unter veränderten Vorzeichen funktioniert, hoben Forscher in einem Versuch die ausgeschwärmten Ameisen aus dem Parcours und setzten sie ein Stück weiter wieder ab, um die Insekten zu verwirren. Die Ameisen begannen, den Weg zurück zu suchen – und das mit einem extrem effizienten Such-Algorithmus, der darauf abzielt, mit möglichst wenig Weg möglichst viel Gelände abzusuchen und so Energie zu sparen. Binnen kürzester Zeit fanden die Tiere trotz widriger Umstände so zu ihrem Zuhause zurück. Genutzt wurden diese Erkenntnisse unter anderem bei der Programmierung von Mars-Sonden. Die Spur der Ameisen führt also nicht nur auf die Straße, sondern bis ins Weltall. Doch auch andere Tiere wissen mit ihrer Orientierung zu beeindrucken.
INS SCHWÄRMEN GERATEN
Bislang erschöpfte sich die Beziehung zwischen Autos und Vögeln weitestgehend in der punktuellen Verunreinigung des Fahrzeuglacks. Im Zeitalter autonomer, selbstfahrender Autos wird die gemeinsame Geschichte um ein großes Kapitel reicher. Denn: Wer autonomes Fahren etablieren will, kommt an Vogelschwärmen nicht vorbei. Nicht umsonst werden auch Connected Cars unter dem Begriff Schwarmroboter eingeordnet. Doch was genau lässt sich beispielsweise von einer Gruppe Wildgänse abschauen, um den Straßenverkehr zu autonomisieren?
Vogelschwärme sind nicht nur faszinierend schön, sondern versetzen auch mit ihrer Konsistenz in Erstaunen. Zumindest den Laien. Fachleute wissen natürlich, wie es möglich ist, dass hunderte Tiere scheinbar synchron miteinander fliegen, dabei Richtung, Flughöhe und Geschwindigkeit anpassen, ohne miteinander zu kollidieren. Ein gerade im Straßenverkehr wünschenswertes Szenario. Dafür muss der Schwarm nur 2 Regeln folgen:
1. Jemand muss wissen, wo’s lang geht.
2. Der Abstand zum direkten Nebenmann muss immer gleichbleiben.
Im Zusammenhang mit der ersten Regel ließ sich erkennen, dass schon ein sehr geringer Prozentsatz „informierter“ Vögel ausreicht, um einen Schwarm ans Ziel zu führen. Forscher und Entwickler beschäftigen sich in Bezug auf selbstfahrende Autos intensiv mit der Frage, wie diese Informationen geteilt werden. Müssen alle Informationen vermittelt werden? Genügt ein Teil davon? Wie lassen sie sich übermitteln, um einen „sicheren Schwarm“ zu erhalten? Es geht also um die Frage, wie Informationen, die von einem Fahrzeug aufgenommen wurden, welches mit einer vernetzten Kommunikationstechnologie ausgestattet ist, an andere Fahrzeuge in der Nähe weitergegeben werden können, lange bevor ein Fahrer etwas merkt. Autos können so ihr gesammeltes Wissen weitergeben und Informationen nahezu in Echtzeit verbreiten, um es menschlichen Fahrern zu erleichtern, Maßnahmen zur Vermeidung von Problemen zu ergreifen, bevor sie auftreten, z.B. bei einem potenziell kilometerlangen Stau. Ein schwer beladener Lastwagen weiß dank digitaler Karten und Satellitennavigation, wann er sich einem Hügel nähert. Die KI des LKW kann daraufhin berechnen, wann die Fahrt verlangsamt wird. Diese Information über den Verkehrsstatus wird mit anderen Verkehrsteilnehmern geteilt, woraufhin diese automatisch den Abstand zum Vordermann anpassen, womit auch der zweiten Regel der Schwarmsicherheit Folge geleistet wäre. Um an dieser Stelle niemandem Unrecht zu tun, sei erwähnt, dass auch das Verhalten von Fischen und Honigbienen bei der Entwicklung der KI zur Kommunikation zwischen Drohnen und selbstfahrenden Autos eine wichtige Rolle gespielt hat und weiterhin spielt. Und wer weiß, was wir noch von anderen Lebewesen mitnehmen werden. Im Bereich der Bioakustik haben Wissenschaftler beispielweise herausgefunden, dass sich Pflanzen über in ihren Wurzeln erzeugte Knackgeräusche miteinander verständigen können. Hummeln, die als die einzigen Tiere mit mathematischen Fähigkeiten gelten, lösen das Travelling-Salesman-Problem, also die Aufgabe, auf einer Tour über eine bestimmte Anzahl von Stationen und zurück zum Ausgangspunkt den Weg möglichst klein zu halten, auf eine Weise, für die ein heutiger Supercomputer Tage bräuchte. Delfine kommunizieren per Ultraschall, der Elefantenrüsselfisch nutzt seinen Elektrosinn, um sich im trüben Gewässer zu orientieren, der Schwarze Kiefernprachtkäfer kann mit seinen Infrarot-Sinnesorganen Waldbrände in 80km Entfernung wahrnehmen – nach seinem Vorbild wurden bereits Brandmelder konstruiert. An Vorbildern mangelt es also nicht.
WACHSE UND GEDEIHE
Auch dank der Erkenntnisse aus der Tier- und Pflanzenwelt macht die Entwicklung immer wieder große Sprünge. Doch so beeindruckend die Fortschritte der neuen Technologien schon sind: Experten sind sich darüber einig, dass es noch einiger Forschung bedarf. Dr. Joseph Reger, CTO von Fujitsu Deutschland dazu: „Künstliche Intelligenz ist immer noch eine zarte Blüte, aber sie wird schnell reifen, was sie zu einem mächtigen Instrument macht.“ Und das auch mit Hilfe von Mutter Natur.