Erfolgsformel: Regeln brechen

Insights Silicon Valley

27.04.2017


Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Probleme werden später gelöst. Nur so können richtig große Dinge geschehen – meint man jedenfalls im Silicon Valley. Mit Erfolg: Die Gründer der Suchmaschine Google fragten Eigentümer von Websites nicht um Erlaubnis, deren Inhalte zu katalogisieren. Sie taten es einfach. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg startete den Vorläufer seines sozialen Netzwerks an der Harvard-Universität gegen den Willen der Univerwaltung. Uber ermöglicht es Autobesitzern in San Francisco, mit ihren Privatfahrzeugen Passagiere zu befördern – ganz ohne Taxilizenz. Airbnb macht aus Mietern Teilzeit-Hoteliers, zuweilen gegen den Willen der Wohnungseigentümer.  

 

Weil ihre Dienste allerdings auch nützlich und beliebt sind, zählen Google, Facebook, Uber und Airbnb heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Da ist es nur konsequent, dass nun auch Silicon Valleys derzeit ambitioniertester Unternehmer Elon Musk die bewährte Erfolgsformel nutzt, um seinem Elektroautohersteller Tesla Motors neuen Schwung zu verleihen und die Autobranche erneut unter Zugzwang zu bringen. „Alle Tesla-Fahrzeuge werden mit Technologie für autonomes Fahren ab Werk ausgerüstet“, kündigte der Multimilliardär vollmundig im Oktober an. Und zwar nicht nur die Luxuslimousine Tesla S oder der Geländewagen Tesla X, mit Preisen ab 60.000 Dollar aufwärts. Sondern auch das Mittelklasse-Modell Tesla 3, das ab Herbst nächsten Jahres produziert werden und mit einem Einstiegspreis von 35.000 Dollar den Massenmarkt erschließen soll. 400.000 Vorbestellungen liegen bereits vor. Zwar müssen die Selbstfahrfunktionen gegen Gebühr freigeschaltet werden, was bis zu 8.000 Dollar zusätzlich kostet. Doch Musk kann sich nun damit rühmen, mit Tesla aus dem Stand die größte autonome Fahrzeugflotte der Welt geschaffen zu haben. Bis Ende 2017 will er demonstrieren, wie man die 5.000 Kilometer von Los Angeles nach New York zurücklegen kann, „ohne das Lenkrad berühren zu müssen“.

 
Zeitplan für autonomes Fahren enorm beschleunigt


Nicht unbedingt wegen technischer Hürden, sondern um mehr Zeit für ausgiebige Tests zu haben, Risiken zu vermeiden und Aufsichtsbehörden nicht zu provozieren. Das Kraftfahrt-Bundesamt untersagte Tesla bereits, in Deutschland den Begriff Autopilot zu verwenden.


Typisch Musk – mit der Idee, einen leistungsfähigen Akku aus Notebook-Batterien zusammenzuschrauben und in ein Elektroauto zu packen, hatte der gebürtige Südafrikaner vor über zehn Jahren die traditionelle Automobilbranche angegriffen. Anfangs nahm ihn die nicht ernst. Die Zukunft – so waren die Chefs der Autokonzerne und ihre Berater überzeugt – würde in Verbrennungsmotoren mit niedrigerem Verbrauch oder mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen liegen. Reine Elektrofahrzeuge sah man als nicht wettbewerbsfähig, vor allem wegen der zu teuren Akkus und deren eingeschränkter Reichweite.


Trotzdem gelang es Musk, auch dank seines mit dem Online-Bezahldienstleister Paypal geschaffenen Privatvermögens sowie seiner puren Überzeugungskraft, Tesla Motors immer wieder finanziell über Wasser zu halten. Auch mithilfe von Geldgebern wie Daimler, das Mai 2009 rund 50 Millionen Dollar investierte. Und als klar wurde, dass sich Tesla zum Konkurrenten aufschwang, fünf Jahre später seinen Anteil für rund 780 Millionen Dollar wieder verkaufte. „Ich scherze immer, dass wir bislang die Einzigen sind, die mit Elektroautomobilität Geld verdienen“, sagte Anfang 2016 der damalige Daimler-Forschungsvorstand Thomas Weber.
 

Alle namhaften Hersteller setzen auf Elektro und Autonomie


Trotz schwerer finanzieller Verluste hat sich Tesla vor allem in den USA eine loyale Fangemeinde aufgebaut. Und die Fahrzeugbranche dank seines Durchhaltewillens zum Reagieren gezwungen. Alle namhaften Autohersteller haben mittlerweile Elektrofahrzeuge im Programm oder zumindest Modelle mit Stromantrieb angekündigt. 


Ein Triumph für Musk, aber auch ein riesiges Problem. Denn wenn die Konkurrenz ebenfalls Elektroautos offeriert, verliert Tesla seine Sonderstellung. 


Nun soll das autonome Fahren den Reiz der Marke bewahren. Schon heute geht Musk deshalb Risiken ein, die bislang kein etablierter Fahrzeughersteller wagte. Oder zumindest nicht so offensiv vermarktete wie die Kalifornier. Seit Oktober 2015 verfügen neuere Tesla S Limousinen über einen Autopiloten, der Spur und Abstand halten kann, automatisch einparken oder per Knopfdruck aus der Garage selbstständig vorfährt. Im Grunde ist es ein hochwertiges Fahrassistenzsystem, das seine meist technikaffinen Besitzer jedoch lockte, dessen Grenzen zu testen. Für einen 40-jährigen Hightechunternehmer endete das Experiment tödlich. Sein vom Autopiloten gesteuerter Tesla krachte im Mai 2016 in einen Sattelschlepper, vermutlich weil er dessen weiß gestrichenen Anhänger nicht als Hindernis erkannte. Was als herber Rückschlag für Tesla erschien, hat dessen Chef noch mehr angespornt. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, wagt er sich nun noch weiter hervor. 35.000 Verkehrstote allein in den USA, fast ausschließlich durch menschliches Versagen, meint Musk, wären das beste Argument dafür. Kurzerhand tauschte er seinen Lieferanten, das israelische Start-up Mobileye, aus, um mit einem selbst entwickelten System und zusätzlichen Sensoren stärker eigene Akzente setzen zu können.

 
Gerangel um Experten für Künstliche Intelligenz 


Seitdem läuft das Rennen um die Vorherrschaft beim autonomen Fahren mit noch höherem Tempo – und es wird vor allem von Silicon Valley aus befeuert. Ob Volkswagen, Daimler, BMW, Ford, General Motors, Toyota oder Bosch – alle etablierten Fahrzeughersteller und Zulieferer haben ihre Forschungslabors im Hightechtal in den vergangenen Jahren massiv erweitert und jagen sich untereinander Experten für autonomes Fahren, Robotik und maschinelles Lernen ab. Viele sammelten erste Erfahrungen bei Google, das ein von dem deutschstämmigen Experten Sebastian Thrun an der Stanford-Universität begonnenes Programm für autonome Fahrzeuge fortsetzte und seit Jahren Roboterautos im Hightechtal testet.
Weil es wenig Talente mit Erfahrung gibt, sind siebenstellige Jahresgehälter keine Ausnahme. Oder sie werden gleich vom Start weg zu Multimillionären gekürt – wie die Gründer des Silicon-Valley-Start-ups Cruise, das der Fahrzeugkonzern General Motors im März für 581 Millionen Dollar erwarb. Plus 400 Millionen Dollar in Erfolgsprämien, wenn die Cruise-Gründer tatsächlich ihr System für autonomes Fahren erfolgreich auf die Modelle von General Motors übertragen können. Den Anfang soll das Elektrofahrzeug Bolt machen – der direkte Wettbewerber des Tesla 3.

 
Versicherungsbranche unter Druck


Schon jetzt ist klar, dass die Dynamik beim autonomen Fahren die Versicherungsbranche in Zugzwang bringt. Denn wenn die autonomen Fahrsysteme funktionieren wie versprochen, müssten Kollisionen der Vergangenheit angehören. Und mit den dann geringeren Schadensummen werden auch die Versicherungsprämien sinken, was die Einnahmen der Versicherungsanbieter drückt. Andererseits ist noch nicht klar, wer haftet, wenn ein System nicht richtig funktioniert und einen Unfall verursacht. Bis nur noch automatische Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, werden allerdings noch mindestens 15 Jahre ins Land gehen. 
 

Ein Gastbeitrag von Matthias Hohensee, Bürochef Silicon Valley, WirtschaftsWoche